Den Bergen zu Füssen im Piemont.
Make it slow, let's go to Bra.
Ein Schelm, wer schlüpfrig dabei denkt. Denn es ist doch allgemein bekannt, dass das piemontesische Bra die Wiege der Slow Food Bewegung ist. Nun gut es wird und wurde auch andernorts bodenständig und bewusst gekocht. Auch exquisit, da bin ich mir ganz sicher. Und doch ist es zu einem großen Teil Carlo Pietrini zu verdanken, dass die Bedeutung und die Selbstverständlichkeit des Essens in unser aller Bewusstsein gerückt wurde. Und das vielleicht zur rechten Zeit. Denn vielen, nicht nur mir, schaudert doch bei dem Gedanken, dass Fast Food dereinst als normalste Form der Ernährung gilt. Und Slow Food hat in den 80ern ein ganz wesentliches Zeichen gesetzt, dafür dass Herkunft, Inhalt und Zubereitung von Nahrungsmitteln und Nahrung, nicht der Convenience überlassen werden darf.
Von den vielen Weinbaugebieten dieser Welt liegt das Piemont quasi vor meiner Haustüre und ist von mir doch beinahe unerforscht. Das dem so ist, mag viele Gründe haben. Einer davon aber ist mit Sicherheit, dass es gerade eben gar so nahe liegt. So nahe, dass man es ja immer mal spontan in Angriff nehmen kann. Wie solche Pläne enden weiß man doch. Entweder sie enden nie, bleiben ein Plan ein Leben lang, oder aber - spontan! - setzt man sich mit guten Freunden ins Auto und fährt dort hin. Und erlebt dann, was viele schon kennen doch andere eben auch noch vor sich haben. Und darum sage ich dir jetzt, auch wenn du es schon lange weißt: Das Piemont muss unbedingt einmal auf deinen Reisezettel!
Ich sage nur Barolo, Trüffel, Haselnüsse. Und das alles langsam, mit Bedacht und Muße und am besten mit dem Slow Food und dem Slow Wine Führer, als unverzichtbare Reiselektüre, unterm Arm. Slow ist gut, das weiß man ja, und Slow Food Garant für gute Qualität! Na gut, ich bin kein Richter und möchte mich auch gar nicht als ein solcher aufspielen. Doch wenn ich mit einem Glas Rotwein in der Hand in einem Weinberg im Barolo sitze, Zeit habe oder mir sie nehme, darüber nachzudenken, wo ich bin und was die hier so machen, dann stelle ich fest, was andere viel länger schon vielleicht bemerkten. Turin und Fiat hin, Alba und Barolo her, das Piemont war und ist eine etwas vergessene, verträumte Region, eingeklemmt zwischen Bergen und Meer. Und doch gehören weder die Alpen noch die Riviera so richtig zu ihr. Die Alpen sind ja ohnehin nicht wirklich Teil Italiens und an der Küste macht sich auch Ligurien so breit. In der Mitte da thront Turin mit seinen Türmen, Lauben und mit Fiat, und rundherum versinkt das Land in langsamer Beschaulichkeit. Doch nicht ohne das Ticken der Welt ganz deutlich wahrzunehmen.
Vielleicht liegt ja gerade darin das Geheimnis des unglaublichen Erfolges, den Barolo, Barbaresco und Co. in den letzten Jahrzehnten hatten. Die besten Barolos sind mittlerweile schwer zu finden - haltet nach Giuseppe Rinaldi Ausschau! - die berühmtesten nur für sehr viel Geld zu haben.Und trotzdem tummeln sich nicht nur kritiklos bewundernswerte Produzenten, moderne Blender und Promiwinzer in der Provinz zu Füssen der Alpen, es finden sich genauso traditionelle Familienbetriebe und innovative Visionäre.
Wir starten unsere Reise in der östlichsten Region, den Colli Tortonesi. Man mag erst gar nicht glauben, dass dieses kleine Gebiet, mit Tortona als Zentrum zum Piemont gehört – ist es doch durch die A7, die von Milano nach Genova führt vom Rest getrennt, und auch sonst deutet beim Vorbeirauschen wenig darauf hin, dass hier beachtenswerte Weine wachsen und reifen.
Aufgrund der nachahmenswerten Beharrlichkeit von Walter Massa hat eine Weißwein Spezialität überlebt und eine Handvoll Nachahmer gefunden. Timorasso heißt der nach der Traube benannte Wein und findet sich völlig zu unrecht nur auf wenigen Weinkarten dieser Welt. Es lohnt sich aber allemal, diesen kräftig-würzigen Wein im Auge zu behalten, und die eine oder Flasche in den Keller zu legen. Zumal Timorassos sensationell alterungsfähige Weine sind und außerdem auch noch verhältnismäßig günstig zu erstehen sind.
Wenn wir dann weiter westwärts ziehen - und es erstaunt dann doch, wie weitläufig dieses vermeintlich kleine Weinbaugebiet ist - denken wir zwangsläufig auch ans Essen und ans Schlafen. Denn das Leben besteht ja nicht aus Arbeit alleine! Wir nehmen den Führer mit der Schnecke zur Hand und finden mehr als eine Handvoll Möglichkeiten. Eine aber möchte ich speziell betonen. Die Trattoria Masurpino. Denn nicht so viele Orte gibt es in Italien, wo Qualität der Küche und der Unterkunft, genauso wie die Weinkarte und die Beratung durch den Sommelier, darüber hinaus die Gastfreundschaft und der Service der Gastgeber in einer derart überwältigenden Art überraschend grandios sind!
Dass die Lage im kleinen Ort Briaglia sensationell ist, muss man ihnen nicht zugute halten, das ist halt einfach so, für die Weinreisenden ist es aber trotz alledem alles andere als ein Makel.
Ich persönlich wäre nach einem Abend in der Trattoria Masurpino in Briaglia schon restlos zufrieden, doch die Pflicht ruft, und wir ziehen weiter. Weinreisen sind kein Wellnessurlaub, Land und Leute versteht man nicht im Schlaf und in die Tiefe zu gehen bedeutet beim Wein, in die Keller zu steigen, durch Rebberge zu laufen, den Menschen zuzuhören. Ein Besuch bei Barale fratelli lässt mich erkennen, wie wohl begründet und auch hart erarbeitet der Ruf des Barolo ist.
Zweifellos begünstigt durch die Topographie ist allerdings die Arbeit im Detail unablässig. und ein Blick in den Keller der Barales erklärt wie sehr der Wein den Bedingungen letztlich abgetrotzt ist. In bester Stadtlage, der eigenen Geschichte verpflichtet, werden auf engstem Raum und in akribischer Ordnung die Trauben vinifiziert. Ein Probeschluck vor allem vom Roero Arneis und auch vom Barolo Chinotto wird auch die zurückhaltendsten Gaumen überzeugen.
Wir machen einen kurzen Halt beim rührigen Franco Conterno in Monforte d’Alba und entdecken einige der piemonteser Vorzüge: Wein, Würste, Käse, die atemberauende Schönheit der Amphitheater gleichen Weinberge und Zeit. Es scheint, als ob nichts und niemand hier so leicht aus der Ruhe zu bringen ist, so wird aus einem kurzen Besuch ein etwas längerer und erst als die untergehende Herbstsonne die Reben in ihr warmes Licht taucht, machen wir uns auf zu unserem nächsten Ziel. Madonna Della Neve klingt nicht nur poetisch, ist auch versteckt und gar nicht leicht zu finden – obwohl, an einem Ort wie diesem ist man nicht nur zufrieden mit sich und der Welt – denn weniger ist es die Idee eines Bilderbuchreiseprospekts der dir eventuell irgendwelche Sehnsuchtsphantasien in den Kopf setzt. Es ist vielmehr das einfache Leben, das sich dir eröffnet. Menschen, ihre tägliche Arbeit, gutes Essen unprätentiös und damit umso spezieller, und guter Wein – was braucht es mehr um Leben zu begreifen. Man kann auch übernachten hier – was wichtig ist, denn nach einem Abend an einem Ort wie diesem, will man nicht unbedingt nach Hause. Und morgens in den Wäldern steht einem dann unwillkürlich der Sinn nach – Trüffeln oder Haselnüssen! Man kann nicht alles haben im Leben – zumindest nicht zur selben Zeit. Man muss sich entscheiden und wir entscheiden uns für Haselnüsse und einen Besuch bei Cascina Gaspardi, trinken ehrlichen Barbera, vertiefen uns in den Risotto und kaufen Nocciole vom Consorzio.
Und zum Abschluss das Beste: ein Blick in den slow food guide, Telefonnummer gewählt, Reservation gemacht im Ristorante del Belbo da Bardon. Trüffel haben wir selbst keine gefunden, aber in diesem El Dorado der italienischen Landküche lassen wir uns ordentlich Tartufo über die Eier hobeln, ein paar reife Barolos öffnen, lehnen uns zurück und lassen unsere< Gedanken in die Zukunft schweifen. Denn das Schöne an dem Ganzen ist, dass so vieles noch lange nicht entdeckt ist, und eine weiter Reise quasi zwingend erscheint!
Keep you posted
Oct 15
Alle Tipps und links sind subjektiv und teils Momentaufnahmen, nicht zufällig oder willkürlich, aber eben auch nicht vollständig. Es sind Orte und Menschen, die ich selbst besucht habe und von denen ich überzeugt bin. Zweifellos gibt es daneben Restaurants, Hotels, Wineries etc. die genauso wert sind beachtet und aufgesucht zu werden.
Masurpino, Briaglia: Ich könnte auch einfach hier bleiben und sagen, ich habe das Piemont verstanden. Briaglia ist der verträumte mittelalterliche italienische Ort, der fest in meiner Phantasie abgespeichert ist. Die Aussicht übers Land, freundliche Menschen und ein gutes Bett, Küche, Keller, Wirte gleichermaßen überzeugend. Unbedingt auf den Reiseplan!
http://www.trattoriamarsupino.it
Madonna della neve:
Man muss schon wissen, wo man hin will um diese entzückende und gleichwohl unscheinbare Station in den Bergen zu finden. Dafür kann man, mit etwas Glück den Signoras beim morgendlichen Pasta machen über die Schulter schauen, die später dann als Agnolotti ai plin auf den Tisch kommt!
http://www.ristorantemadonnadellaneve.it
Locanda dell Arco, Cissone:
Der Ort an dem erfahrene Italienreisende ihr Mittagessen zelebrieren. Pittoresk gelegen, mit leicht überlandendem Charme. Die Slow Food Küche bietet alles was das Herz begehrt, ohne zu Abenteuern zu verleiten. Die Weinkarte dehnt den Mittag etwas in die Länge.
Ristorante del Belbo da Bardon
San Marzano Oliveto
Manche Restaurants können es sich leisten, auf eine website zu verzichten. Uns soll’s recht sein. Der Geheimtipp bleibt etwas länger noch geheim!
Wein:
Barolo trinken kann jeder! Zwischen Torino und Genova den richtigen Nebbiolo zu finden, ist aber doch eine andere Aufgabe: Denn ein Teil des Geheimnisses des Piemont verbirgt sich vielen kleinen Kellern der Region. Und neben Nebbiolo, Barbera und Dolcetto gäbe es ja noch so unscheinbare Spezialitäten wie Timorasso, Freisa, Grignolino etc. zu entdecken...
Barale fratelli; Barolo: http://www.baralefratelli.it
La Colombera, Tortona: http://www.lacolomberavini.it
Mariotto, Tortiona: http://www.claudiomariotto.it
Careglio; Roero: http://cantinacareglio.com
Franco Conterno Casciana Sciulun, Bussia: http://www.francoconterno.it
Cascina Gasparda, Monferrato: http://www.cascinagasparda.com
Bezugsquelle meines Vertrauens:
REB WEIN http://www.rebwein.ch